Aragorn *04.05.2008  †15.12.2019

Lina Oberließen (Tiertrainerin)

 

Lieber Aragorn,

wir sind alle unendlich traurig uns heute nach 11 wunderbaren gemeinsamen Jahren von dir verabschieden zu müssen. Du warst ein Mitbegründer und elementarer Bestandteil des Wolfsforschungszentrums und hast dein gesamtes Leben lang geradezu unermüdlich im Dienste der Wissenschaft gearbeitet. Genau wie deine Schwester Shima, die wir ebenso sehr vermissen wie dich, hast du diesen Ort geprägt und zu dem gemacht, was er heute ist.

Es ist wahr, dein Arbeitseifer und dein Verlangen nach Futter schienen unerschöpflich zu sein. Zu jeder Tages- und Nachtzeit hätte man dir ein Training oder einen Test anbieten können und du hättest ohne zu zögern und mit Freude mitgemacht. Im Vergleich zu anderen vierpfötigen Kollegen hast du die malträtierten Geduldsfäden der Trainer niemals auf die Probe gestellt. Du warst der sichere Hafen, wenn man einen verlässlichen Wolf auf einen Spaziergang mitnehmen wollte, ohne Bitten und Betteln und Bloßstellen vor den Besuchern.

Neben dieser vorbildlichen Arbeitseinstellung hattest du dennoch einen gewissen Sinn für „Humor“. Du bist der erste und einzige Wolf, dem es gelang, einen (menschlichen) BH zu öffnen. Von hinten hast du dich bei einem Rudelbesuch an dein ahnungsloses Opfer herangeschlichen und gekonnt zugeschlagen. Das resultierende entsetzte Quieken war offenbar so belohnend, dass du dieses Erlebnis gerne wiederholen wolltest. Dabei bist du sehr strategisch vorgegangen und hast dich bei den nachfolgenden Rudelbesuchen von hinten angeschlichen, um in einem Moment humaner Unachtsamkeit erneut zuzuschlagen. Zu deinem Leidwesen wurden sämtliche Besucher allerdings vor Betreten des Geheges über deine besonderen Neigungen in Kenntnis gesetzt. Sie erhielten klare Instruktionen, dich immer im Blick zu behalten und sich unverzüglich umzudrehen, wenn du unauffällig hinter ihnen hergeschlichen bist. Dein enttäuschtes Gesicht, wenn du wieder einmal „entdeckt“ wurdest, war einfach unbeschreiblich. Auch mit Filmteams hast du so deine Späße getrieben und hattest es insbesondere auf die lustigen Mikrofon-Puschel abgesehen. Es wurde deshalb immer eine Trainerin explizit damit beauftragt, das teure Equipment vor deinen dentalen Annäherungsversuchen zu beschützen.

Im Rudel hast du dich Kaspar bereitwillig untergeordnet. Böse Zungen behaupten, dass dir die Chefrolle viel zu anstrengend gewesen wäre. Du warst schließlich ein gemütlicher Wolf. Trotzdem hast du dich mit Kaspar und natürlich auch mit deiner Schwester Shima prima verstanden und ihr wart ein richtig harmonisches Trio. Beim Fressen hörte die Freundschaft allerdings auf und hierarchische Strukturen gerieten in gierige Vergessenheit. Wenn du wirklich hungrig warst (und das warst du meistens), hat auch Kaspar klein beigegeben und dir bereitwillig den Vortritt gelassen.

Ich gebe es gerne zu, du gehörtest zu meinen Lieblingswölfen. Der Hauptgrund dafür war allerdings nicht deine tadellose Arbeitseinstellung, sondern dein unglaublich liebes und entspanntes Wesen. Du hattest etwas Unerschüttlerliches und Beständiges an dir, das ansteckend war und mich immer wieder geerdet hat. Gemeinsame Spaziergänge mit dir durch den Wald waren für mich sehr besonders. Vielleicht lag es auch an deinem fortgeschrittenen Alter, aber du hast dir einfach Zeit gelassen und so eine wohltuende Ruhe in den oftmals stressigen Alltag gebracht.

Lustigerweise hatte ich sehr lange Zeit großen Respekt vor dir. Im Nachhinein weiß ich gar nicht mehr genau warum. Aber irgendwann ist der Knoten geplatzt. Ich kam aus einem Urlaub zurück und auf einmal habe ich dir vertraut und dieses Vertrauen hast du nie missbraucht.

Die letzten Wochen und Monate hat man dir dein fortgeschrittenes Alter doch immer mehr angemerkt. Der Gang war nicht mehr ganz rund und auch dein Herz hat mit der Zeit Probleme gemacht. Trotz aller Hoffnung dich noch möglichst lange und beschwerdefrei bei uns zu haben, mussten wir dich heute schweren Herzens gehen lassen. Dein Gesundheitszustand hatte sich drastisch verschlechtert und so bist du heute in der Mitte deiner zweibeinigen Freunde friedlich eingeschlafen.

Du wirst immer in unseren Herzen bleiben und wir werden gerne an deine wunderbare und liebenswerte Art zurückdenken. Alles Glück der Welt für deine weitere Reise, lieber Aragorn! Es wäre mir eine Ehre dich irgendwann irgendwo wiedertreffen zu dürfen.